30. April 2025

Ein Blick hinter die Kulissen: Worauf es bei der Zertifizierung ankommt

Michel_Wyss

Nach Abschluss seines Diploms in Wärmetechnik an der «Haute Ecole d’Ingénierie et de Gestion du Canton de Vaud» (HEIG-VD) war der 37-jährige Michel Wyss zunächst als Projektleiter in einem Planungsbüro für Heizung, Lüftung, Sanitär und Regulierung (CVSR) in Sion tätig. 2018 stiess er zu Minergie und ist Verantwortlicher für Zertifizierungen in der Westschweiz. Seine Leidenschaft für Energieeffizienz und Nachhaltigkeit spiegelt sich auch in seinem kürzlich abgeschlossenen Master of Advanced Studies in «Energie et Développement Durable dans l’Environnement Bâti» (MAS EDD-BAT) wider.

  1. Worauf sollen Planende generell achten, wenn sie einen Minergie-Antrag ausarbeiten?
    Minergie(-P/-A) verfolgt drei Ziele: Komfort, Energieeffizienz und Klimaschutz. Damit ein Projekt das Label erhält, sollten alle drei Aspekte berücksichtigt werden, ohne einen davon zu vernachlässigen. Ein Projekt, das zwar bezüglich Betriebsenergie und Treibhausgasemissionen in der Erstellung effizient ist, dessen Lüftungskonzept oder der Umgang mit dem sommerlichen Wärmeschutz aber nicht ausgereift sind, kann noch nicht zur Zertifizierung eingereicht werden.

    Die Planenden müssen sich daher darauf konzentrieren, die richtige Balance in ihrem Projekt zu finden. So lassen sich Projektanpassungen kurz vor der Antragseinreichung vermeiden.
  2. Welches sind die drei am häufigsten gestellten Fragen?
    [Am Telefon] Geht es Ihnen gut? – Es geht mir gut, danke. Und Ihnen? (lacht)

    Spass beiseite: Ich werde oft gefragt, ob eine Abluftanlage mit Aussenluftdurchlässen (ALD) ausreicht, um ein Label zu erhalten. Minergie verlangt lediglich einen automatischen Luftaustausch. Die Abluftanlage ist ein sehr einfaches Lüftungskonzept, um die Minergie-Anforderungen zu erfüllen. Sie muss jedoch genau dimensioniert und geplant werden, um eine Raumluftqualität zu gewährleisten, die jener einer Komfortlüftung mit Wärmerückgewinnung entspricht. 

    Es gibt auch viele Fragen zum Status eines Zertifizierungsantrags. Hier muss ich die Anrufenden oft daran erinnern, dass sie zwar einen Zertifizierungsantrag auf der Label-Plattform eröffnet haben, uns aber noch den unterschriebenen Zertifizierungsantrag, insbesondere vom Antragstellenden, zukommen lassen sollen. Erst dann können wir mit der Prüfung für die provisorische Zertifizierung beginnen.

    Grundsätzlich wirft das Thema rund um Lösungen und Nachweise für einen ausreichenden Luftaustausch, zum Beispiel durch die natürliche Luftzufuhr oder durch die automatisierte Fensteröffnung, viele Fragen auf.

    Auch der Nachweis eines ausreichenden sommerlichen Wärmeschutzes durch dynamische Simulationen der Temperaturentwicklung im Gebäudeinneren im Sommer wird häufig hinterfragt. Selbstverständlich akzeptieren wir solche Nachweise. Die Überprüfung der Berechnungsannahmen dieser Simulationen erweist sich jedoch als schwierig, da sie nicht standardisiert sind.

  3. Was ist bei der Nachweiserstellung und Einreichung zur Zertifizierung auf der Label-Plattform zu berücksichtigen?
    Mit dem Ausfüllen des Minergie-Nachweises online hat man zwar schon hervorragende Arbeit geleistet. Nicht vergessen darf man aber, aussagekräftige, nachvollziehbare und plausible Beilagen hochzuladen. Wichtig ist, dass die Planenden ihre Eingaben im Nachweisformular begründen und dokumentieren.

    Die administrativen Aspekte sind ebenfalls sehr wichtig. Die Rollen aller Beteiligten müssen klar definiert werden: Wer ist die Kontaktperson? Wie lautet die Rechnungsadresse (inklusive E-Mail-Adresse)? Und vor allem: Wer reicht den Antrag offiziell ein? Die antragsstellende Person oder Institution ist die Vertragspartnerin von Minergie. Sie beauftragt uns offiziell, ein Gebäude zu zertifizieren und stellt sicher, dass die Gebühren übernommen werden. Sie ist es auch, die nach Abschluss der Arbeiten mit ihrer Unterschrift bestätigen, dass das erstellte Gebäude dem geplanten und provisorisch zertifizierten Projekt entspricht. Jede Änderung muss jeweils gemeldet werden.

  4. Wo finden Planende Unterstützung beziehungsweise Support?
    Für Planende gibt es verschiedene Möglichkeiten Unterstützung zu erhalten. Einerseits stehen auf der Website minergie.ch verschiedene Broschüren und Publikationen von Minergie WISSEN zum Download bereit. Hier sind ebenfalls Reglemente und Anwendungshilfen (PVopti, sommerlicher Wärmeschutz etc.) zu finden.

    Andererseits bietet Minergie auch Weiterbildungen an, wie zum Beispiel den Grundkurs, den ich zusammen mit Marc Girelli durchführe. Oder den Kurs zum Zusatz ECO. Unser gesamtes Kursangebot finden Sie in unserer Agenda auf der Webseite. ELearnings stehen Ihnen auf der Seite Minergie WISSEN kompakt zur Verfügung.

    Zu guter Letzt: Wenn Sie Fragen haben, sind wir telefonisch, per E-Mail oder auf dem Postweg für Sie da.
  5. Noch eine persönliche Frage: Wie sieht eine Arbeitswoche von Michel Wyss aus?
    Ein grosser Teil meiner Zeit ist der Zertifizierung gewidmet. Dabei werde ich von Floriane Boesch und Erwan Pennarun unterstützt. Nach einer ersten internen administrativen Kontrolle erfolgt die technische Prüfung durch ein Netzwerk externer Fachpersonen, welche die ganze Westschweiz abdecken. Auf der Grundlage dieser Prüfung erfolgt die provisorische Zertifizierung des Gebäudes. Nach Abschluss der Arbeiten und der Abnahme des Gebäudes bearbeiten wir intern die definitive Zertifizierung des Gebäudes.

    Ich beantworte auch alle technischen Fragen der Planenden, um sie bei der Einreichung ihrer Zertifizierungsanträge zu unterstützen. Punktuell nehme ich an verschiedenen technischen Arbeitsgruppen oder am Treffen zum Erfahrungsaustausch (Minergie, SNBS) auf nationaler Ebene oder seltener an Messen und Veranstaltungen teil.