15. September 2025

«Eine Zertifizierung ist keine Raketenwissenschaft.»

fabian_bannwart_001 analog stefanie_3000x1500

Fabian Bannwart startete seine berufliche Laufbahn mit einer vierjährigen Ausbildung zum Gebäudetechnikplaner Sanitär. Anschliessend arbeitete er als Sachbearbeiter und später als Projektleiter in einem Planungsbüro für Gebäudetechnik. Sein Interesse galt dabei früh auch den weiteren Fachbereichen der Gebäudetechnik. Berufsbegleitend absolvierte er deshalb die Höhere Fachschule für Gebäudetechnik in St. Gallen, um sich dieses Zusatzwissen anzueignen. Nach dem erfolgreichen Abschluss wechselte er 2013 zur Energieagentur St. Gallen und prüft dort Minergie-Anträge und übernimmt beratende Aufgaben.

Können Sie kurz schildern, welche Rolle Sie im Zertifizierungsprozess eines Minergie-Gebäudes einnehmen?
Als Leiter des Zertifizierungszentrums Minergie/-ECO St. Gallen bin ich zusammen mit zwei Arbeitskollegen zuständig für die Prüfung der Zertifizierungsanträge aller Minergie- und ECO-Standards aus den Kantonen St. Gallen, Appenzell Ausserrhoden, Appenzell Innerrhoden und Glarus und aus dem Fürstentum Liechtenstein.

In welchen Phasen des Zertifizierungsprozesses sind Sie involviert?
Die Arbeit beginnt bei vielen Projekten bereits bei Vorgesprächen, Auskünften und Beratungen über das gesamte Minergie-Portfolio und endet bei der Ausstellung der definitiven Zertifikate nach Bauabschluss. Bei jedem fünften Bauprojekt mache ich zudem vor Ort eine Ausführungskontrolle.

Wie gehen Sie bei der Prüfung eines Antragdossiers vor?
Zuerst kontrolliere ich, ob das Antragsdossier komplett ist. Bei einem vollständigen Dossier starte ich mit der Überprüfung der Energiebezugsfläche anhand der Gebäudegrundrisse. Dabei lerne ich das Gebäude kennen und sehe dadurch meist die vorgesehene Nutzungsart, Baukonstruktion, Verschattungen, Fensteranteil sowie vieles mehr, was im Verlauf der weiteren Prüfung wichtig zu wissen ist.

In einem zweiten Schritt wird der winterliche und der sommerliche Wärmeschutz überprüft. Der Zeitaufwand variiert je nach Gebäude.

Danach folgt die Überprüfung der Eingabewerte zur Gebäudetechnik. Dieser Prüfaufwand ist bei Wohngebäuden eher gering. Bei Spezialnutzungen, wie beispielsweise Hallenbäder oder Eissporthallen, wird meistens noch eine Spezialistin oder ein Spezialist zur Prüfung beigezogen.

Weiter folgt die Prüfung des Kapitels Elektrizität. Dies beinhaltet den Haushaltsstrom inklusive Beleuchtung und die Eigenstromproduktion. Bei der Eigenstromproduktion wird die Eingabe der «nutzbaren Dachfläche» überprüft, die für die Bildung der Minergie-Kennzahl sehr relevant ist.

Zum Abschluss der Prüfung folgen die Kapitel Monitoring und Treibhausgasemissionen in der Erstellung.

Wie häufig kommt es zu einer Nachforderungsrunde und wie läuft diese ab?
Erfahrungsgemäss braucht es in den meisten Fällen eine Nachforderungsrunde. Dabei werden von den Antragstellenden die Fehler im Antragsdossier bereinigt oder fehlende Informationen ergänzt.

Welche drei Tipps möchten Sie den Planenden bzw. Baubeteiligten in Bezug auf die Antragsstellung mit auf den Weg geben?
1) Bei Unklarheiten beim Ausfüllen des Antrags bzw. der Nachweise stehen die für den Projektstandort zuständigen Zertifizierungsstellen für Auskünfte gerne zur Verfügung (siehe Linkübersicht am Seitenende). Für beide Seiten ist es hilfreich, wenn Unklarheiten vor der Antragsstellung geklärt werden. Dies reduziert den Aufwand in der Antragsprüfung und zusätzliche Nachforderungsrunden im Zertifizierungsprozess werden überflüssig.

2) Bauprojekte mit mehreren fast identischen Gebäuden und/oder mit mehreren Gebäudeeingängen können zusammengefasst werden, was Arbeitsaufwand und Zertifizierungskosten einspart. Was und wie zusammengefasst werden darf, können Sie im Kapitel 3.3 des Produktreglements Minergie-Gebäudestandards nachlesen.

3) Ein Zertifizierungsantrag kann grundsätzlich zu jedem Zeitpunkt gestellt werden, sogar nach Bauausführung. Es empfiehlt sich aber den Antrag zum Zeitpunkt der Baueingabe (zur Baubewilligung) zu stellen. Dies hat gleich mehrere Vorteile:

Erstens können im Baugesuch die Energienachweisformulare eingespart werden. Bei gewöhnlichen Bauvorhaben braucht es einzig das kantonale Basisformular.

Zweitens sind in dieser Planungsphase die nötigen Informationen für die Erstellung der Nachweise für das Antragsdossier bekannt. In früheren Phasen fehlen einige Informationen meist noch und in späteren Phasen werden kaum noch energetisch relevante Projektänderungen vorgenommen.

Drittens erhält der Antragstellende mit Ausstellung des provisorischen Zertifikats Planungssicherheit und kann das Bauprojekts bereits entsprechend bewerben.

Welche Unterschiede gibt es bei der Prüfung eines Neubaus im Vergleich zu einer Sanierung?
Der Zertifizierungsprozess ist identisch. Der Aufwand kann aber bei einer Sanierung erheblich reduziert werden, besonders wenn der Zertifizierungsantrag mit dem Minergie-Nachweis der Systemerneuerung gestellt wird. Dies ist ein, aufs Wesentlichste reduzierter, Nachweis der Minergie-Anforderungen an Sanierungen und soll die Hürde für Sanierungen nach Minergie-Standard senken.
Die grösste und nach meiner Ansicht eigentlich einzige Herausforderung bei Sanierungen ist die Ausarbeitung eines geeigneten Lüftungskonzepts. Zu diesem Thema hat Minergie bereits einige Informationen publiziert und es werden auch Minergie-Kurse angeboten. Ich empfehle allen Planenden und Bauherrschaften die Broschüre «Gute Raumluft» durchzulesen.

Was wünschen Sie sich für die Zukunft im Zertifizierungsprozess und wie könnte Ihre Arbeit vereinfacht werden?
Weniger Berührungsangst. Ich höre immer wieder, dass ein Planungsteam beschlossen hat das Bauprojekt nach «Minergie-ECO» zu planen, jedoch auf eine Zertifizierung verzichtet. Ich vermute stark, dass dabei diffuse Ängste vor Mehraufwendungen und Einschränkungen vorherrschen. Wahrscheinlich spielen auch einigen Mythen rund um Minergie eine Rolle, die sich hartnäckig halten. Eine Zertifizierung ist kein Hexenwerk und wenn das Bauprojekt sowieso nach Minergie-ECO geplant wird, sind die Mehraufwendungen für die Zertifizierung nicht der Rede wert.

Was bringt eigentlich eine Zertifizierung nach Minergie-ECO oder Minergie?
Nebst den finanziellen Vorteilen (bessere Vermietbarkeit, Verkaufsvorteile, günstigere Hypotheken) sind die Qualitätssicherung, Transparenz und Vergleichbarkeit wichtige Argumente für eine Zertifizierung. Mit dem Zertifikat wird eine klare Aussage gemacht: Die schweizweit gültigen Anforderungen an ein energieeffizientes, komfortables und klimafreundliches Gebäude sind erfüllt (Vergleichbarkeit). Dies wurde ausführlich dokumentiert und von einer unabhängigen und neutralen Zertifizierungsstelle überprüft (Transparenz). Beim Prüfprozess wurden allfällige Schwachstellen identifiziert und behoben (Qualitätssicherung).