27. Februar 2024

4 Fragen zu: «Erste Erkenntnisse nach der Standardanpassung 2023»

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Andreas Meyer Primavesi, Geschäftsleiter Minergie
  1. Andreas, ist Minergie gut gestartet mit den neuen Standards?
    Grundsätzlich ja, aber so ganz genau wissen wir das noch nicht. Wir sehen, dass auf der neuen Label-Plattform fleissig Projekte eröffnet und Nachweise nach den neuen Minergie-Standards 2023 erstellt werden. Über 100 Anträge wurden inzwischen zur Zertifizierung eingereicht. Und unsere Fachleute erhalten viele Fragen gestellt, auch zum Minergie-Areal. Dies lässt auf eine sehr detaillierte Auseinandersetzung der Planenden mit den neuen Vorgaben schliessen lassen. Aber eben: Ob alles gut ist, wissen wir noch nicht.
  2. Was heisst eigentlich «gut» für Euch?
    Gute Frage! Wir entwickeln derzeit in Vorstand und Geschäftsleitung die Strategie für die nächsten vier Jahre, und gerade diese Frage beschäftigt uns sehr. Gut wäre, wenn wir eine sehr hohe Wirkung erzielen in den Bereichen, für die unsere Minergie-Standards stehen: Behaglichkeit für die Nutzenden, Effizienz auf allen Ebenen und Klimaschutz im Sinne sehr geringer Treibhausgasemissionen. Gleichzeitig möchten wir die Breitenwirkung der Minergie-Standards erhalten und in der Sanierung weiter ausbauen. Das steht dann natürlich etwas im Widerspruch zur Verschärfung von Anforderungen: Je schärfer die Vorgaben zum Beispiel beim Hitzeschutz oder bei den Treibhausgasemissionen in der Erstellung sind, desto mehr schrecken sie auch ab und es wird auf das Zertifikat verzichtet.
  3. Apropos die neuen Anforderungen: Bewähren sich diese?
    Es ist eindeutig zu früh für ein abschliessendes Fazit. Wir sind aber vorsichtig optimistisch, bspw. aus folgendem Grund: Die Grenzwerte für die Treibhausgasemissionen in der Erstellung werden von den einen als sehr herausfordernd, von anderen als einfach bezeichnet. Bei einem Holzbau ohne Untergeschoss erreicht man sie eindeutig ziemlich einfach – aber bei einem Mehrfamilienhaus in Hanglage mit Kellergeschoss ist es knifflig. Wenn wir die Siedlungen verdichten wollen und Minergie weiterhin breitenwirksam sein will, müssen die Grenzwerte auch im zweiten Fall erreichbar sein. Anstrengend darf es aber schon sein, finde ich. Die andere grosse Frage ist, ob und wie sich die stark erhöhten Anforderungen an den sommerlichen Wärmeschutz umsetzen lassen, gerade auch in warmen Gegenden und bei grossen Raumtiefen. An den wärmsten Standorten kommt man vermutlich ohne Kühlung nicht mehr aus, und in Schulzimmern wird der Abgleich von Hitzeschutz und Tageslicht herausfordernd.
  4. Gibt es sonst noch Nutzungskonflikte?
    Zuerst zu den realen Konfliktfeldern: Die Vorgabe zu den Treibhausgasemissionen in der Erstellung hat einen Einfluss auf den Nachweis des sommerlichen Wärmeschutzes, weil ein reduzierter Betonanteil zu weniger thermischer Masse führt. Da könnte man künftig etwas mehr über Materialien wie Lehm nachdenken. Auch nicht abzustreiten ist, neben dem bereits erwähnten Optimieren des Fensteranteils zwischen Hitzeschutz und Tageslicht, dass an der Gebäudehülle vermehrt Nutzungskonflikte entstehen. Photovoltaik, Begrünung, Fenster und Balkone – alles aufs Mal braucht gute Planung. Dann gibt es aber auch Mythen. Ich meine für einmal nicht die vermeintlich nicht zu öffnenden Minergie-Fenster. Sondern Kritik an einer guten Dämmung der Gebäudehülle oder der Photovoltaik. Klar braucht die Produktion von PV-Modulen und Dämmstoffen Energie – aber über den Lebenszyklus gesehen ist deren Energie- und Klimabilanz eindeutig positiv. Es braucht sowohl Effizienz in Betrieb als auch in der Erstellung.