21. September 2023

5 Fragen zur Standardanpassung 2023

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Andreas Meyer Primavesi, Geschäftsleiter Minergie
  1. Warum passt Minergie die Standards eigentlich an?
    Die letzte grosse Anpassung geschah 2017, als die Eigenstromproduktion und das Monitoring zur Pflicht wurden und die Minergie-Kennzahl zu einer Gesamtbilanz analog GEAK wurde. Seither haben sich viele Technologien weiterentwickelt, namentlich die Photovoltaik. Und der Klimaschutz wurde noch dringlicher, der Klimawandel noch spürbarer. Es ist an der Zeit, dass Minergie als Wegbereiter der Energie- und Klimapolitik im Gebäudebereich wieder einen grossen Schritt voran geht. 
  2. Was bedeutet dieser grosse Schritt konkret?
    Im Wesentlichen verschärfen wir die Standards in drei Aspekten. Erstens führen wir bei Neubauten Grenzwerte für die Treibhausgasemissionen in der Erstellung ein, bei allen Minergie-Standards und Gebäudekategorien. Der Nachweis kann rechnerisch geschehen oder mit einem vereinfachten Verfahren. Zweitens muss die ganze nutzbare Dachfläche mit Photovoltaik-Modulen belegt sein, in Neubau und Sanierung. Und wir künden bereits an, dass die minimale installierte Leistung auf 20W/m2 EBF erhöht wird, sobald die Unsicherheiten bei Fassaden-PV-Anlagen beseitigt sind. Drittens ist der Nachweis des sommerlichen Wärmschutzes neu mit Zukunftsdaten zu erbringen. Man beurteilt also, ob ein Gebäude die Komfortanforderungen auch in 20 Jahren noch erfüllen kann, wenn es gerade auch in Städten wohl noch wärmer ist als heute. 
  3. Wird der Minergie-Standard damit komplizierter und teurer?
    Nicht wesentlich. Der Nachweis des sommerlichen Wärmeschutzes ist beispielsweise immer noch in den meisten Fällen ohne Simulationen möglich – aber bei Neubauten wird es ohne Freecooling langsam knapp. Auch bei den THGE in der Erstellung müssen die meisten von uns noch Erfahrung sammeln, wie man ein Gebäude optimieren kann. Einfach auf Holz statt Beton setzen ist zu einfach. Das neue Minergie-Tool hilft, die wichtigen Stellschrauben zu erkennen. Und ja, eine PV-Anlage in der Fassade kostet etwas mehr als die meisten konventionellen Fassaden – aber sie produziert dafür Strom!
  4. Neben den Anpassungen der Minergie-Standards gibt es weitere Neuerungen bei Minergie. Welche?
    Der Zusatz ECO wurde erheblich vereinfacht – und in seinen Kernthemen geschärft. Bauökologie, Gesundheit und Kreislauffähigkeit – kein anderer Standard adressiert diese Themen präziser und konsequenter als ECO. Dazu kommt das neue Minergie-Areal. Neben den bekannten Minergie-Themen findet man dort erstmals auch Anforderungen an den Aussenraum, an die Mobilität und die Organisation in Entwicklung und Betrieb. 
  5. Aktuell zertifiziert Minergie etwa 1’800 Gebäude pro Jahr – geht das so weiter?
    Erfahrungsgemäss reduziert sich die Anzahl Projekte nach Ablauf der 12-monatigen Übergangsfrist etwas – um sich dann innert 1-2 Jahren wieder auf ähnlichem Niveau einzupendeln. Ich bin aber kein Prophet – je nach Entwicklung des Umfelds kann das auch anders rauskommen, sei es aufgrund der Konjunktur oder der Energie- und Klimapolitik.

    Apropos Energie- und Klimapolitik: Der Anteil der Sanierungen bei Minergie liegt bei etwa 15 % der Zertifikate. Reicht das?
    Wir wären froh, wenn noch mehr nach Minergie saniert würde. Darum gehen wir die Vorgaben bei der Minergie-Sanierung immer recht pragmatisch an – sie sind einiges tiefer als im Neubau, sei es bei den Anforderungen an die Gebäudehülle, an den Luftwechsel oder neu auch die Eigenstromproduktion. Aber ich habe grossen Respekt vor allen, die sich an eine energetische Gesamtsanierung wagen. Was klar ist: Wir müssen etwas tun mit der etwa 1 Million Gebäuden, die den Anforderungen 2050 nicht mehr genügen werden. Besser jetzt als dann in 20 Jahren in grosser Hektik.